Die Diagnose
Eine Bibliothekarin kommt mit Nackenschmerzen in die Notaufnahme.
Ein Chirurg entdeckt, dass sie in Lebensgefahr schwebt.
Auf die 54- jährige Patientin traf ich im Mai dieses Jahres in einer Hamburger Notaufnahme.
Sie klagte über heftige Nackenschmerszen.
Am Mittag sei sie mit der linken Schulter am Rahmen der küchentür hängen geblieben und
habe sich dabei den Hals verdreht, erzählte sie. Mittlerweile war es acht Uhr abends, und das
Genickt tat ihr immer noch weh.
Die Bibliothekarin berichtete , dass sie schon seit drei Wochen unter Nackenschmerszen litt.
Ihr Hausarzt hatte sie untersucht und nichts Auffälliges gefunden.
Er verschrieb ihr ein Schmerzmittel, da er vermutete, sie habe verlegen oder eine Zerrung
erlitten.
Seit dem Zwischenfall heute Mittag hätten die Schmerzen aber zugenommen, und der linke,
kleine Finger kribbele, sagte die Frau. Ich überlegte, ob sie statt einer muskulären
Verspannung ein neurologisches Problem haben könnte.
Zunächst untersuchte ich die Wirbelsäule. Ein Bandscheibenvorfall auf Höhe der beiden
unteren Halswirbel kann Missempfindungen des kleinen Fingers auslösen. Doch keine der
von mir durchgeführten Bewegungen verstärkte die Beschwerden. Also widmete ich mich
der linken Schulter: Vielleicht war ein Schleimbeutel entzündet oder ein Gelenk eingeengt?
Aber auch diese Untersuchung war unauffällig.
Mir fiel ein ähnlicher Fall ein, der Jahre zurücklag.
Damals war eine etwa 60-Jährige mit chronischen Nackenschmerzen zu mir in die
Notaufnahme gekommen. Am Morgen hatten ihre Beschwerden zugenommen, sodass sie
zum Chiropraktiker gegangen war. Der hatte sie eingerenkt, doch die Schmerzen waren
danach noch stärker geworden. Offenbar hatte das Zerren des Therapeuten am oberen
Teil der Wirbelsäule Halsgefäße geschädigt. Ich hatte damals entschieden, die Frau an die
Neurochirurgen zu übergeben. Noch vor der Übergabe war sie zusammengebrochen.
Wir hatten sofort mit Der Wiederbelebung begonnen, doch die Frau war währenddessen
verstorben.
Die Obduktion hatte ergeben: Ein Halsgefäß war verletzt, zudem waren Herzkranzarterien
verstopft. Beide Befunde können sich in starken Nackenschmerzen äußern.
Der Verschluss der Herzgefäße hatte zu einem Infarkt geführt und den plötzlichen Tod
verursacht.
Mit diesem Fall vor Augen ließ ich sofort ein EKG anfertigen. Der Befund zeigte:
Auch sie hatte einen ausgedehnten Herzinfarkt. Eine Blutprobe ergab, dass die
Herzenzyme astronomisch hoch waren. Umgehend führten die Kardiologen eine
Herzkatheteruntersuchung durch: Sie schoben einen Kunststoffschlauch über eine
Leistenarterie bis zu den Herzkranzgefäßen und gaben Kontrastmittel. So werden enge
Stellen und Verschlüsse im Gefäß auf dem Röntgenbildschirm sichtbar. Tatsächlich war
eines der drei Hauptgefäße, die den Herzmuskel mit Blut Versorgen, fast vollständig
verschlossen.
Jetzt war klar: Die Nackenschmerzen der Frau rührten daher, dass das Herz nur noch
unzureichend durch blutet war. Normalerweise spüren Betroffene erste Beschwerden,
wenn ein Herzkranzgefäß zu etwa drei Viertel verschlossen ist. Bei dieser Patientin war
mittags gar kein Blut mehr durch das verengte Gefäß getröpfelt - zu diesem Zeitpunkt
hatte sie den Infarkt erlitten.
Dabei werden die Herzmuskelzellen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und
gehen zugrunde. Die Nackenschmerzen hatten sich daraufhin verstärkt. Ihr Stoß an der
Küchentür war genau wie die Behandlung der anderen Patientin Beim Chiropraktiker
zufällig zeitgleich gewesen.
Die Bibliothekarin hatte einen ( Stillen ) oder (Stummen) Infarkt gehabt.
Die Betroffenen Frauen allgemein und Menschen mit Diabetes sind besonders
Gefährdet Spüren kaum Schmerzen oder haben sie an anderer Stelle als in der
Brust beispielsweise im Nacken, Kiefer oder Bauch. Der sonst so typische starke
Brustschmerz mit Atemnot, Todesangst und Armschmerzen bleibt aus. Und noch etwas
hatte mir den Blick für die richtige Diagnose verstellt die Frau hatte keinerlei Risikofaktoren
für einen Herzinfarkt Sie war Schlank, rauchte nicht und hatte normale Blutzucker- und
Blutfett Werte. Während der Herzkatheteruntersuchung setzten die Kardiologen ein
Gitterröhrchen in das verengte Gefäß ein, um es offen zu halten. Nur wenige Tage Später
konnte die Patientin die Klinik verlassen. Und ich werde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt
immer im Hinterkopf haben.
An dieser Stelle schildern regelmäßig Ärzte ihre außergewöhnlichsten Fälle.
Diese Woche:
Dr. Ekkehard Pietsch, 53, frei Praktizierender Chirurg und Unfallchirurg in
Hamburg.
Stern: Wissen/Technik
Seite 126
Stern 15.09.2016
Eine Bibliothekarin kommt mit Nackenschmerzen in die Notaufnahme.
Ein Chirurg entdeckt, dass sie in Lebensgefahr schwebt.
Auf die 54- jährige Patientin traf ich im Mai dieses Jahres in einer Hamburger Notaufnahme.
Sie klagte über heftige Nackenschmerszen.
Am Mittag sei sie mit der linken Schulter am Rahmen der küchentür hängen geblieben und
habe sich dabei den Hals verdreht, erzählte sie. Mittlerweile war es acht Uhr abends, und das
Genickt tat ihr immer noch weh.
Die Bibliothekarin berichtete , dass sie schon seit drei Wochen unter Nackenschmerszen litt.
Ihr Hausarzt hatte sie untersucht und nichts Auffälliges gefunden.
Er verschrieb ihr ein Schmerzmittel, da er vermutete, sie habe verlegen oder eine Zerrung
erlitten.
Seit dem Zwischenfall heute Mittag hätten die Schmerzen aber zugenommen, und der linke,
kleine Finger kribbele, sagte die Frau. Ich überlegte, ob sie statt einer muskulären
Verspannung ein neurologisches Problem haben könnte.
Zunächst untersuchte ich die Wirbelsäule. Ein Bandscheibenvorfall auf Höhe der beiden
unteren Halswirbel kann Missempfindungen des kleinen Fingers auslösen. Doch keine der
von mir durchgeführten Bewegungen verstärkte die Beschwerden. Also widmete ich mich
der linken Schulter: Vielleicht war ein Schleimbeutel entzündet oder ein Gelenk eingeengt?
Aber auch diese Untersuchung war unauffällig.
Mir fiel ein ähnlicher Fall ein, der Jahre zurücklag.
Damals war eine etwa 60-Jährige mit chronischen Nackenschmerzen zu mir in die
Notaufnahme gekommen. Am Morgen hatten ihre Beschwerden zugenommen, sodass sie
zum Chiropraktiker gegangen war. Der hatte sie eingerenkt, doch die Schmerzen waren
danach noch stärker geworden. Offenbar hatte das Zerren des Therapeuten am oberen
Teil der Wirbelsäule Halsgefäße geschädigt. Ich hatte damals entschieden, die Frau an die
Neurochirurgen zu übergeben. Noch vor der Übergabe war sie zusammengebrochen.
Wir hatten sofort mit Der Wiederbelebung begonnen, doch die Frau war währenddessen
verstorben.
Die Obduktion hatte ergeben: Ein Halsgefäß war verletzt, zudem waren Herzkranzarterien
verstopft. Beide Befunde können sich in starken Nackenschmerzen äußern.
Der Verschluss der Herzgefäße hatte zu einem Infarkt geführt und den plötzlichen Tod
verursacht.
Mit diesem Fall vor Augen ließ ich sofort ein EKG anfertigen. Der Befund zeigte:
Auch sie hatte einen ausgedehnten Herzinfarkt. Eine Blutprobe ergab, dass die
Herzenzyme astronomisch hoch waren. Umgehend führten die Kardiologen eine
Herzkatheteruntersuchung durch: Sie schoben einen Kunststoffschlauch über eine
Leistenarterie bis zu den Herzkranzgefäßen und gaben Kontrastmittel. So werden enge
Stellen und Verschlüsse im Gefäß auf dem Röntgenbildschirm sichtbar. Tatsächlich war
eines der drei Hauptgefäße, die den Herzmuskel mit Blut Versorgen, fast vollständig
verschlossen.
Jetzt war klar: Die Nackenschmerzen der Frau rührten daher, dass das Herz nur noch
unzureichend durch blutet war. Normalerweise spüren Betroffene erste Beschwerden,
wenn ein Herzkranzgefäß zu etwa drei Viertel verschlossen ist. Bei dieser Patientin war
mittags gar kein Blut mehr durch das verengte Gefäß getröpfelt - zu diesem Zeitpunkt
hatte sie den Infarkt erlitten.
Dabei werden die Herzmuskelzellen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt und
gehen zugrunde. Die Nackenschmerzen hatten sich daraufhin verstärkt. Ihr Stoß an der
Küchentür war genau wie die Behandlung der anderen Patientin Beim Chiropraktiker
zufällig zeitgleich gewesen.
Die Bibliothekarin hatte einen ( Stillen ) oder (Stummen) Infarkt gehabt.
Die Betroffenen Frauen allgemein und Menschen mit Diabetes sind besonders
Gefährdet Spüren kaum Schmerzen oder haben sie an anderer Stelle als in der
Brust beispielsweise im Nacken, Kiefer oder Bauch. Der sonst so typische starke
Brustschmerz mit Atemnot, Todesangst und Armschmerzen bleibt aus. Und noch etwas
hatte mir den Blick für die richtige Diagnose verstellt die Frau hatte keinerlei Risikofaktoren
für einen Herzinfarkt Sie war Schlank, rauchte nicht und hatte normale Blutzucker- und
Blutfett Werte. Während der Herzkatheteruntersuchung setzten die Kardiologen ein
Gitterröhrchen in das verengte Gefäß ein, um es offen zu halten. Nur wenige Tage Später
konnte die Patientin die Klinik verlassen. Und ich werde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt
immer im Hinterkopf haben.
An dieser Stelle schildern regelmäßig Ärzte ihre außergewöhnlichsten Fälle.
Diese Woche:
Dr. Ekkehard Pietsch, 53, frei Praktizierender Chirurg und Unfallchirurg in
Hamburg.
Stern: Wissen/Technik
Seite 126
Stern 15.09.2016
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