Sonntag, 9. Oktober 2011

1.Kapital:Das Staatensystem im 20 .Jahrhundert:Integration und Zersplitterung

Tendenzen der Integration
Bei einem Vergleich des weltpolitischen Panoramas von heute mit dem vor
Hundert Jahren Fällt sofort ein bemerkenswerter Unterschied ins Auge:
Die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts ist der Höhepunkt eines Systems
Souveräner Nationalstaaten,die im wesentlichen nur zwei Formen der
Verbindung mit anderen Gemeinwesen kennen:entweder die imperialistische
Unterwerfung und Angliederung kolonialer oder halb-kolonialer Gebiete
In der Form des Protektorats, der Kolonie,der Interessensphäre,
Pachtvertrages usw. oder die lose Verbindung mit anderen gleichrangigen
Nationalstaaten in der Form des Bündnisvertrages.

Ein übernationale Organisation der Völkergemeinschaft existierte nicht
Es gab nur das, was man das Europäische Konzert nannte -eine Völker-
Familie, die nicht durch Vertrags Paragraphen und  Statuten,sondern durch
Tradition, Konvention und eine im gemeinsamen europäischen Kulturerbe
Begründete Solidarität zusammengehalten wurde und die dem einzelnen
Mitglied nur diejenigen Bindungen auferlegte, die sich aus den überlieferten
Spielregeln ergaben.

Das heutige System der internationalen Staatenwelt ist anderer Art:
Fast alle Nationalstaaten sind Mitglieder der verschiedenartigsten regionalen
( oder auf anderen Kriterien aufgebauten ) Zusammenschlüsse;
Die Völkergemeinschaft als Ganzes hat sich in Gestalt der Vereinten
Nationen eine voll ausgebaute Organisation und in der Charta der Vereinten
Nationen eine geschriebene Verfassung gegeben.

Zwar kannte auch das 19.Jahrhundert gewisse regionale oder universelle
Organisationen unpolitisch-technischer Natur, wie Z. B. die
Verwaltungsunionen ( Weltpostverein usw.) Ihre Bedeutung für die einzelnen
Mitgliedstaaten war jedoch, verglichen mit den Modernen regionalen und
Universalen Zusammenschlüssen, gering (wie etwa die Zugehörigkeit eines
Einzelnen zu einem Philatelisten -Verein von geringerer Bedeutung für ihn ist
Als die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft)

Neue Formen des Staatensystems haben sich in ersten Ansätzen zwischen
Den beiden Kriegen entwickelt: der Genfer Völkerbund; das britische
Commonwealth; die Panamerikanische Union, die zwar schon lange vor dem
Ersten Weltkrieg gegründet wurde, aber erst in dieser Zeit festere Gestalt
Gewann. Briands Europa-Union blieb schon im Stadium des Projektes
Stecken Voll zur Entfaltung Kamen diese Formen erste nach 1945. Es
Genügt, Stichworte zu nennen : Die Vereinten  Nationen mit ihren
Unterorganisationen;Weltbank und Weltwährungsfonds; GATT; die Umformung
Der PanAmerican Union zur OAS (Organisation of  American States);
Der Europa Rat; die aus der früheren oEEc entwickelte oEcD (Organisation
Für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung); Monaten Union, EWG
Und Euratom ; NATO und WEU; SEATO und CENTO;die Organisation des
Des Warschauer Pakts.

Alle diese Organisationen greifen bedeutsam, einige von ihnen tief und
Entscheidend in das Schicksal der Mitgliedstaaten ein.
Das Ergebnis ist; Wir Leben in einer Welt, in der es keine völlig isolierten
Nationalstaaten mehr gibt. Das heutige Staatensystem scheint vielmehr
Gekennzeichnet durch seine Tendenz zur Integration.

Die Ursachen dieser Integration Tendenz sind ähnlicher Art wie jene, die auch
im Leben des einzelnen zu wachsender Kollektivierung führen;
Je enger Menschen in großer Zahl zusammen Leben, desto mehr bedarf es der
Organisation, des gruppenweisen und Gesamt zusammen Schlusses, der
Verbindlichen Reglementierung. Die Integration Tendenz im Staatensystem ist
Daher nur eine Logische Konsequenz der Zunahme der Weltbevölkerung; der
Dichteren Besiedlung der Erdoberfläche; der zunehmenden Erschließung bisher
Noch unbekannter Gebiete;des Zusammen Rückens aller Erdteile und länder
Infolge der revolutionären Verbesserung der Verkehrstechnik wie zugleich der
Waffentechnik; der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung und Interdependenz,
Die mit dieser Entwicklung zwangsläufig einhergeht. In den beiden ersten Jahrzehnten
Nach 1945 schien die Entwicklung zu einer zunehmenden und sich intensivierenden
Integration des Staatensystems unaufhaltsam und unwiderruflich zu sein.

Bezeichnend für diese Überzeugung war etwa die Analyse der Wechsel Wirkungen
Den europäischen und atlantischen Gemeinschaft institutionen die Max Beloff 1960
Veröffentlichte.Er nannte die Einwirkungen, die Netz internationaler Orgenisationen
Auf die Verwaltungen und die großen politischen Systeme unabhängiger Staaten
Ausübt, eine der bedeutendsten politischen Entwicklungen unserer Zeit.

Was die Ursachen anlangt, so verwies auch Beloff zunächst auf das Mißverhältnis
Zwischen den technischen Möglichkeiten einer schnellen Beförderung von Gütern
Und Menschen und den politischen und verwaltungsmäßigen Schranken, das immer
Offensichtlicher und weniger und weniger erträglich werde; Die zeit die ein Flug-
passagier zwischen Paris und london bei der Abfertigung von paß - und
Zollkontrollen verbringt, dauert länger als der ganze Flug .Dabei ist das militärische
Denken dem zivilen durch seine Bereitschaft voraus eine uneingeschränkte
Nationale Unabhängigkeit als veraltet zu betrachten. Die Anforderungen des krieges
Üben heute einen mächtigen und wachsenden Druck auf die Vereinigung der
Souveränität gleichgesinnter Länder aus .
Hinsichtlich der Wirtschaft allerdings glaubte Beloff zu dem paradoxen Schluss
Kommen zu müssen , dass dieser Bereich menschlicher Aktivität, der einst
Gegenüber nationalen Grenzen im wesentlichen für indifferent gehalten wurde, sich
Nun mehr in dem Apparat des national staates  einen  Ausdruck Seiner
Bedürfnisse sucht;

Ganz offensichtlich ließ sich Beloff dabei vom Beispiel der englischen Abneigung
 Gegen supra nationale Wirtschaftsorganisationen leiten, die er auf den in England
erreichten hohen Grad sozialerb Integration und das allgemeine vertrauen, das die
Bürger Großbritanniens in ihren internen Regierungsapparat setzen zurückführte.

Beloff stimmte hier mit dem generellen Urteil überein, das Gunnar Myrdal, der
Bekannte schwedische National Ökonom,Handelsminister und langjährige
Sekretär der Europäischen Wirtschafts kommission in Genf ( ECE) ;in seinem
Buch International Economy gefällt hatte: Je erfolgreicher ein Nationalstaat
Seine Geschäfte führt und je mehr es ihm gelingt, die Treue und das
Vertrauen Seiner Bürger zu gewinnen, desto größere Hindernisse werden
Gegen eine völlige soziale und wirtschaftliche Integration auf internationaler
Basis geschaffen

Ob die These von Beloff und Myrdal allgemeine Gültigkeit besitzt, ob sie sich
nicht zu sehr auf skandinavisches und britisches Anschauungsmaterial stützt und
ob sie nicht sogar in diesem Bereich des anglo skandinavischen Wohlfahrtsstaates
 Bereits ausgespielt hat, mag dahingestellt bleiben ihr Ergebnis ändert jedenfalls
nichts daran,dass in jedem Falle der allgemeine Trend zur multi nationalen
Integration als stark und weiter zunehmend angesehen wurde.

Wilhelm G. Grewe
Spiel der Kräfte in der Weltpoltik
Theorie und Praxis der Internationalen Beziehungen

 

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